3. Kapitel: Unmittelbarer Wiederaufbau

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1954 wird ein neues Arbeiterkammergesetz beschlossen. Der Arbeiterkammertag erhält einen eigenen Status als eine Art "10. Arbeiterkammer", was eine weitaus bessere Koordination ermöglicht.

Bundespräsident Körner (oben Mitte) bei der Eröffnung des Franz Domes-Lehrlingsheimes der Kammern für Wien und Niederösterreich 1952. Mit dabei: die zuständigen AK Präsidenten (für Niederösterreich Josef Fuchs links neben Körner, für Wien Karl Mantler rechts neben dem Bundespräsidenten verdeckt). Links außen: ÖGB-Generalsekretär Anton Proksch, vor 1934 Vorsitzender des AK-Jugendbeirats.
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Insgesamt fünf Preis- und Lohnabkommen schaffen es, schrittweise zu einer geordneten Preisgestaltung zu kommen und die Einkommen an die steigenden Lebenshaltungskosten anzugleichen
Da es in der Nachkriegszeit einen akuten Mangel an Wohngelegenheiten für Lehrlinge gibt, wird im 4. Bezirk das Franz Domes-Jugendwohnheim errichtet.
Die Arbeiterkammern werden wieder gegründet.
sozialakademie
Die Sozialakademie zählt von Anfang an ArbeitnehmervertreterInnen aus ganz Österreich zu ihren HörerInnen.
Noch im April 1945 treffen sich Gewerkschafter aller Fraktionen und gründen einen einheitlichen Österreichischen Gewerkschaftsbund. Nur zwei Tage später findet schon die Gründungskonferenz statt. Jetzt muss das Sozialsystem wieder aufgebaut und das Arbeits- und Sozialrecht demokratisiert werden. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist die Wiedererrichtung der Arbeiterkammern als Instrumente der wirtschaftlichen und sozialen Demokratie am 20. Juli 1945.
Sozialpartnerschaft: Die junge Demokratie soll durch soziale Spannungen nicht belastet werden. Die Wirtschafts- und Sozialpartner werden in dieser Phase des Wiederaufbaus als speziell österreichisches Konfliktregelungsinstrument eingerichtet. Das Nebeneinander von Pflichtmitgliedschaft in den Kammern und den freien Interessenvertretungen bei Gewerkschaft und Industriellenvereinigung ermöglichte die Effizienz dieses Konfliktregelungsinstruments.
Wer sind die Instrumente der
wirtschaftlichen und sozialen Demokratie?
Österreich zwischen
1945 und 1955
Wie kommen Alltag, Leben
und Arbeit wieder in Gang?
Große Not in Österreich
Ohne ausländische Hilfe kann Österreich nicht überleben. Es fehlt an allem. Lebensmittel sind rationiert. Vor allem Frauen, die mit der Rückkehr der Männer aus dem Krieg vom Arbeitsmarkt verdrängt werden, stehen stundenlang vor Ausgabestellen an. Kleidung und Schuhe sind rar und kostbar. CARE-Pakete tragen zum Überleben bei.
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Im April 1945 wird die Republik Österreich ausgerufen. Karl Renner ist Kanzler einer provisorischen Regierung. Im November 1945 finden die ersten Wahlen statt. Parlament und Regierung können nicht frei entscheiden, die Besatzungsmächte behalten bis 1955 die letzte Entscheidungsgewalt.
Mit dem Schillinggesetz vom 30. November 1945 ist der Schilling wieder gesetzliches Zahlungsmittel. Der Umtausch von Reichsmarknoten ab 10 Mark und alliiertem Militärgeld erfolgt im Verhältnis 1:1. Aber nur 150 Schilling werden ausgezahlt. Der Rest wird auf ein „Sperrkonto“ gutgeschrieben. 1947 werden die Banknoten aus dem Jahr 1945 eingezogen und in neue Schillingnoten im Verhältnis 3 zu 1 umgetauscht. Die Währungsreform gelingt.
Der Schilling ist wieder Zahlungsmittel
Die Menschen beginnen aufzuräumen
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Fast die gesamte österreichische Industrie geriet nach dem Anschluss in deutschen Besitz und war jetzt Kriegsbeute. 291 Betriebe mit 52.000 Beschäftigten sind im USIA Konzern zusammen gefasst. Der zahlt weder Steuern noch Sozialversicherungsabgaben an den österreichischen Staat. Der Nationalrat beschließt unter anderem die Verstaatlichung von Energiewirtschaft, Erdölproduktion und Eisenhüttenindustrie. Aber anders als die westlichen Besatzungsmächte beharren die Sowjets auf dem Übergang der Vermögenswerte in sowjetischen Besitz. Es ist ein riesiger Erfolg, dass sie nicht auf der Annullierung des Verstaatlichengesetzes beharren, sondern es „nur“ nicht anerkennen.
Schrittweise neue Sozialgesetze. Kollektivvertragsgesetz und Betriebsrätegesetz verbessern die Interessenvertretung der Beschäftigten. Bis 1950 hat der ÖGB fast 1,3 Millionen Mitglieder.
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Nur langsam wird der Schwarzmarkt eingedämmt
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Sowjetische Soldaten verteilen Erdäpfel
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Erst ab 1948 verbessert sich die Versorgung in Wien.
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Schwedenausspeisung
Die Wiener Kinderfreunde organisieren Kindergruppen, Ausspeisungen, fahren auf Ferienlager und sorgen dafür, dass die kleinen Wienerinnen und Wiener schon ein Jahr nach Kriegsende ein kleines Geschenk – ein Buch – zu Weihnachten bekommen.
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Die Arbeiterkammer Wien, später der ÖGB, betreibt eine Jugendfürsorgestelle. An erster Stelle steht die Ernährung. 64 Prozent aller männlichen Jugendlichen in Wien sind unterernährt. Hier können sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder satt essen.
Meilenstein ASVG
Die Sozialversicherung unterstützt uns unser Leben lang: vom ersten bis zum letzten Tag, von der Geburt über Krankheit, Karenz, Unfall oder Pflegebedürftigkeit bis hin zur Pension. Der Kern ist die Pflichtversicherung. Seit 1948 beruht die Sozialversicherung auch wieder auf dem Prinzip der Selbstverwaltung durch Vertreter der Versicherten selbst.
Das ASVG fasst die Kranken-, Unfall und Pensionsversicherung für die Arbeiter und Angestellten in Industrie, Bergbau, Gewerbe, Handel, Verkehr und Land- und Forstwirtschaft zusammen und sorgt auch dafür, dass alte Menschen krankenversichert sind.
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Max, Anna und Julie
MAX
geboren 1920
Eisengießer
ANNA
geboren 1921
Telefonistin
JULIE
geboren 1940
ein "Spanienkind"

Klicken Sie sich durch die Biographien und leben Sie den Alltag der Familie mit.

1941 wird Max eingezogen. Er erlebt das Kriegsende in Holland und macht sich zu Fuß auf den Weg zurück nach Hause. In Deutschland gerät er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst im März 1946 entlassen wird. Zurück in Wien erkennt er seine Tochter Julie kaum wieder. Er hat sie nur bei einem Fronturlaub gesehen. Mit Anna tut er sich jetzt schwer. Sie nimmt keine Rücksicht auf ihn, ist ihm zu selbstständig. 

Wie zahlreiche Wienerinnen und Wiener räumt Max Schutt weg ehe er wieder Arbeit als Eisengießer in Hernals findet. Dort ist er eingebunden ins Betriebsleben und findet allmählich wieder in ein geregeltes Leben – auch mit Frau und Kind – zurück.

Max hat wieder Arbeit gefunden. Zu kaufen gibt es kaum etwas, die Kriegsschäden sind noch sichtbar und überall liegt tonnenweise Schutt. Provisorisch reparierte Brücken führen über die Donau. In die Arbeit geht Max zu Fuß, denn Straßenbahnen fahren nur streckenweise. Die Stadtbahn funktioniert und auch Kanal- und Wasserversorgung verbessern sich zunehmend. Langsam steigen die Lebensmittelrationen. Aber nach dem Kältewinter von 1947 rät der Arzt der Familie Julie nach Spanien zu schicken. Max stimmt sofort zu. Für ihn geht die Gesundheit seines einzigen Kindes über alles.

Es geht nur langsam voran

Anna arbeitet während des Krieges als Telefonistin in der Post – und Telegraphenanstalt. Sie verliert dort als verheiratete Frau nach Ende des Krieges ihre Arbeit und muss sich eine neue Stelle suchen. Es ist Alltag, nach der Arbeit vor Geschäften anzustehen. Alles ist rationiert: Es gibt Lebensmittelmarken, Kleiderkarten, Eier- und Kaffeemittelkarten, Erdäpfel- und Milchkarten. Heizmaterial ist kaum zu bekommen. Anna sucht in ihrer Verzweiflung Mütterberatungsstellen, Großküchen und Wohlfahrtsorganisationen auf.

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1946 verdient Anna 160 Schilling im Monat. Dafür bekommt sie 2 kg Fleisch.
 Sie ist dankbar, dass aus dem Ausland Spenden kommen, die sie und ihre Familie überleben lassen. Als ihr bei der Fürsorgestelle der Arzt rät, ihre Tochter Julie für ein Jahr nach Spanien zum Aufpäppeln zu schicken, bricht beinahe eine Welt zusammen. Sie macht sich große Sorgen über die Zukunft ihres Kindes. Von Max lässt sie sich überreden, Julie nach Spanien zu schicken.
Frauen werden
umgeschult

Während Julie in Spanien versorgt ist, besucht Anna eine Umschulung zur Näherin. Langsam findet sie auch mit Max wieder eine gemeinsame Basis. Sie hat mit ihren Kolleginnen aus der Post- und Telegraphenanstalt immer noch Kontakt und auch zu gewerkschaftlich organisierten Frauen. Diese haben dafür gesorgt, dass berufstätige Frauen nicht mehr stundenlang vor Geschäften anstehen müssen, sondern an den Schlangen vorgelassen werden, wenn sie ihren Gewerkschaftsausweis vorzeigen.

Während Anna wieder Arbeit gefunden hat, bleiben einige ihrer Freundinnen arbeitslos. Durch die Einführung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes werden sie aber zumindest ab 1949 eine Geldleistung als Unterstützung bekommen. Als Julie aus Spanien zurückkehrt, bekommt die Familie auch Kinderbeihilfe. Die Lebenssituation von Annas Mutter verbessert sich ebenfalls: Als Witwe bekommt sie eine Rente.

Julie ist 8 Jahre alt. Sie wiegt 20 Kilogramm, ist unterernährt und hat Tuberkulose. Anna und Max haben ihre Tochter gerade zum Westbahnhof gebracht. Sie soll zusammen mit 500 anderen Kindern das nächste Jahr in Spanien verbringen. Anna weint bittere Tränen. Nur mit äußerster Mühe hat sie Julie durch den Kältewinter von 1947 gebracht. Wenn das Kind überleben soll, hat der Arzt gesagt, dann muss sie ins Ausland. Am besten für ein Jahr mit der Caritas nach Spanien.
Ein Jahr später kommt Julie zurück. Ein Kärtchen um den Hals, warm angezogen, mit eigener Haube und Schuhen. Ihre Puppe und das schöne Kleid, das sie von der Pflegemutter bekommen hat, trägt sie als Schatz in ihrem Köfferchen. Sie lacht, ist gesund und wiegt 12 Kilo mehr als noch vor einem Jahr.
Spanienkinder
Der Abschied von der Pflegefamilie ist Julie schwer gefallen. Jetzt spricht sie fast ausschließlich Spanisch und erinnert sich kaum mehr an ihre Wiener Zeit. Wie wird sie sich mit ihren richtigen Eltern verstehen? Wie wird die Schule? Wird sie Freundinnen finden, mit denen sie im Park spielen kann?
Schweren Herzens stimmt Anna zu. Max hingegen hatte nicht lange gezögert. Die Gesundheit seiner Tochter ist ihm viel wert. Mit dem Zug sind die Spanienkinder mehrere Tage unterwegs, dann lernt Julie ihre Pflegefamilie kennen. Es dauert nicht lange, und Julie spricht ausgezeichnet Spanisch und hat in der neuen Schule viele Freundinnen gefunden.
Um die Drei- bis Sechsjährigen kümmern sich ganz besonders die Schweden. 26.000 Kinder bekommen zwei Monate lang täglich ein hochwertiges Mittagessen. Die Schweden nennen es "Suppe", es ist aber eine Mahlzeit aus Fleisch, Butter, Speck und anderen wertvollen Nahrungsmitteln. Die ÖsterreicherInnen haben so etwas schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. 8 Millionen Portionen werden in einem Jahr verteilt. Nach Ende des zweimonatlichen Ausspeisungsturnus bekommen die Kinder noch jede zweite Woche Trockenmilch.
ausstattung
Aus der Schweiz kommen Lebensmittel und Medikamente. Über die Wohlfahrtsämter werden CARE Pakete mit Lebensmitteln, Decken, Medikamenten und Dingen für den täglichen Gebrauch an Waisen, besonders bedürftige Familien und auch an Alte verteilt.
Ab Anfang der 50er Jahre haben die Wienerinnen und Wiener das Schlimmste überstanden.
Anfang der 50er
Max und Anna können es sich jetzt leisten, manchmal ins Kino zu gehen. Besonders gut gefallen ihnen die Filme mit Hans Moser und Paul Hörbiger. „Hallo Dienstmann“ hat es ihnen besonders angetan. Sie ziehen in eine neu gebaute moderne Wohnung am Stadtrand: in die Per-Albin-Hanson-Siedlung. Als im Fußball die österreichische Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften 1954 in der Schweiz den 3. Platz belegt, ist Max hellauf begeistert.

WAS IN DIESER ZEIT GESCHAH       

 FÜR SIE ERREICHT

1946
1945

Das Jahr des Hungers: erst ab Ende 1947 Ansteigen der Lebensmittelrationen

Hiroshima und Nagasaki, Niederlage Hitler-Deutschlands, Befreiung Österreichs

Marshall-Plan-Hilfe für Österreich (Abkommen USA-Österreich)

Das Wiener Riesenrad wird nach den Renovierungsarbeiten wieder in Betrieb genommen.

Kindergarten und Schwedenausspeisung

Karl Renner zur Gründung der Zweiten demokratischen Republik Österreichs

1947 hungert Wien

Arbeiterurlaubsgesetz: Anspruch auf 12 Tage nach 1 Dienstjahr, auf 18 Tage nach 5 Dienstjahren, auf 24 Tage nach 15 Dienstjahren

Pension für Frauen, Witwenrente

Sozialversicherungs- Kollektivvertrags-, Betriebsräte- und Arbeitsinspektionsgesetz

Kinderbeihilfengesetz, Arbeitslosenversicherungsgesetz

Feiertage werden festgelegt, Rechtsüberleitungsgesetz des österreichischen Sozialrechts, Wiedergründung AK & ÖGB

1947
1948
1949
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1950

"Oktoberstreik": Massenproteste gegen das 4. Preis- und Lohnabkommen.

Erste Direktwahl des Bundespräsidenten

Interview mit Margarete Hofka in der ORF-Sendung "Mütter, Töchter, Trümmerfrauen"

Arbeit am Kraftwerk Kaprun

Die VOEST beginnt mit dem Linz-Donawitz-Verfahren Stahl zu produzieren.

Elektrogeräte in Mietkauf-Aktionen (NEWAG)

15.5.1955 - Wochenschaubericht zur Österreichischen Staatsvertragsunterzeichung

Der österreichische Staatsvertrag wird unterzeichnet.
Ausstrahlung der ersten österreichischen Fernsehsendung.

Abschaffung der Todesstrafe in Österreich

Mindestlohntarife, Wohnungsbeihilfe zum Mietzins

Angleichung der Rentenbestimmungen für Arbeiterwitwen, mit denen von Angestelltenwitwen

Jugendeinstellungsgesetz zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit, Gründung des "Volkstheaters in den Außenbezirken"

Der Nationalrat beschließt das ASVG.

1951
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1952
1953
1954
1955
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STUNDEN (ARBEITSZEIT PRO WOCHE)
2
WOCHEN (BEZAHLTER URLAUB)
112
SCHILLING (LOHN PRO WOCHE)
1
SCHILLING (1,3 S PRO KG KARTOFFELN, 1955)
1
SCHILLING (1,3 S KOSTET 1 STRASSENBAHN-FAHRSCHEIN 1955)

KARL MAISEL

„Wäre es gelungen, die Beschäftigung aufrecht zu erhalten, den Menschen eine auskömmliche Lebenshaltung und ihre sozialen Rechte zu sichern, so wäre es weder zum Faschismus noch zum Krieg gekommen.“

Vortrag „Sozialpolitik als Staatsaufgabe“ gehalten im Niederösterreichischen Gewerbeverein, Arbeit und Wirtschaft, 1.4.1949, S.2
Karl Maisel, Metallarbeiter, Präsident der AK Wien und des Österreichischen Arbeiterkammertages 1946-1964, Bundesminister für soziale Verwaltung 1945-1956